Zum zweiten Mal verwandelte das Hochkantfilmfest die Stadt Bremen zum Schauplatz internationaler, kuratierter Videokunst.
19 Werke zum Thema Sehnsucht, ausgewählt von relevanten Kurator:innen der Kunst und Filmszene, verwandelten Einkaufszentren und Bahnhofshallen in flüchtige Museen. Die digitalen Video-& Anzeigetafeln waren kulturelle Konzeptflächen und künstlerische Leinwände für Positionen von:
Clara Alisch/ Ronald Anzenberger/ Nadine Arbeiter/ Miriam Bornewasser/ Brit Bunkley/ Mighty Joe Castro/ Judith Dürolf/ Lenia Friedrich/ Dominik Geis/ Barbara Haiduck + Friedrich Dörffler/ KNOWN AS STUDIO/ Beate C. Koehler/ Jana May/ Camila Mejía/ Astrid Menzel/ Lisa Reutelsterz/ Amon Ritz/ Anja Schnaars/ I-Chieh Tsai
Ronald Anzenberger, "Like a bird", 2019, Spanien
Anstatt mit Tieren in natürlicher Harmonie zu leben, halten wir sie in speziellen von uns gestalteten Behältern, angepasst an unsere eigenen Vorlieben, Bedürfnisse und Wünsche. Dieses Projekt strebt nach einem alternativen Umgangs mit Tieren in Form eines romantischen Sinnbildes zwischen Gefangenschaft und Freiheit. Dabei wird ein kleiner gelber Kanariengirlitz in einem Vogelkäfig aus Eis gehalten. Die Installation im öffentlichen Raum fand am 1. Juni 2019 im Nationalpark Caldera de Taburiente auf der Kanarischen Insel La Palma (Spanien) statt und wurde per Video dokumentiert.
Nadine Arbeiter, Brust oder Keule (Two is Better than One), 2023, Deutschland
Sehnsucht nach Symbiose ist der Sehnsuchtsmoment bei „Brust oder Keule (Two is Better than One)“. Der Mensch als Figur steht im Mittelpunkt meiner künstlerischen Arbeit. Ich schaffe Abbilder mit starken Konturen, die um reale Personen, fiktionale Figuren und mediale Selbstdarstellungen kreisen.
Miriam Bornewasser, Warten auf den Aufzug, 2023, Deutschland
„Warten auf den Aufzug“ beschäftigt sich mit Zwischenräumen als Orten des Träumens. Der Blick verharrt starr auf einer Tür. Bewegung existiert nur in Lichtern, die über die Wände ziehen und die Tür als einen Aufzug identifizieren. Was wird geschehen, wenn der Aufzug hält? Wird er sich öffnen und wohin wird er den Betrachtenden mitnehmen? Die dargestellte Tür ist Teil eines Raummodells. Im Blick der Kamera heben sich die Dimensionen auf. Betrachtenden wird ermöglicht durch die 8 x 5 cm einer gemalten Tür eine andere Welt zu betreten.
Mighty Joe Castro, Never Let the Wound Heal, 2021, USA
Ich arbeite seit fast 20 Jahren mit Papiercollagen. Vor drei Jahren habe ich begonnen, mit statischen Collagen zu experimentieren, in die bewegte Bilder integriert sind. Die Idee ist, Teile von Videos mit der gleichen Technik zu zerschneiden, die ich für analoge Papiercollagen verwenden würde. Die Bewegung in den Collagen ist subtil und soll das Gefühl eines unvollständigen Moments vermitteln, wie ein Traum oder eine ferne Erinnerung. Ich erforsche viele Themen, darunter Dualismus, Ungerechtigkeit, das moderne Leben, die weggeworfene Vergangenheit, die Entwicklung und die Merkmale einer Gesellschaft, die immer weniger humanistisch ist, eine Kultur, die von neuen Technologien besessen ist und um jeden Preis konsumieren will - was auch immer an diesem Abend auf dem mentalen Speiseplan steht, ehrlich gesagt. Ich lasse mich sehr stark von alten Filmplakaten inspirieren - mir gefällt die Idee, eine ganze Geschichte durch eine Sammlung von Bildern auszudrücken.
Lisa Reutelsterz, Separated Together, 2020, Deutschland
Separated Together ist eine kurze Animation aus dem ersten Corona Lockdown der Video- und Medienkünstlerin Lisa Reutelsterz. Sie ist eine von sechs experimentellen Animationen (Lockdown Automations) aus Beobachtungen und Reflektionen ihres Umfeldes im plötzlichen Wandel. Monate der Ungewissheit, des Verzichts, des Alleinseins. Über das Träumen davon, nahstehende Menschen, Verwandte, Freund*innen, wieder berühren zu dürfen. Ohne die Angst davor, sie zu verletzen oder zu verlieren. Solange wir aufeinander aufpassen, sind wir eins.
Lenia Friedrich, Frogs at Midnight, 2020, Deutschland
So wie der Virus und die Normalität, zu der wir zurückkehren wollen, sind auch die Frösche nicht wirklich zu greifen und festzuhalten. Sie entwischen uns immer wieder aus den Händen.
KNOWN AS STUDIO, Fluid Desire, 2023, Deutschland
Unser Projekt „Fluid Desire“ beschreibt ein Gefühl zwischen Liebe und Lust. Es ist eine Art amorphe Sehnsucht nach einer Person oder Beziehung – eine Intensität, die sowohl natürlich als auch vergänglich sein kann. Fließendes Verlangen beinhaltet keine Urteile oder Erwartungen, sondern eine tiefe Wertschätzung für den Moment, den man mit anderen teilt. Es erlaubt uns, Schönheit in der Gegenwart zu finden und erinnert uns an das Mysterium und Potenzial, das mit dem Leben einhergeht.
Judith Dürolf, Blick aus dem Fenster auf den Comer See, 2023, Deutschland
Ein unscharfer Zustand zwischen Realität, Vorstellung, Phantasie und Wunsch. Ein Gefühl, das sich irgendwo zwischen Gegenwart und Zukunft verortet, zwischen Dasein und Nochnichtdasein. In der Sequenz verweben sich Assoziationen, die ich zuvor in ein Buch geschrieben habe. Zwischen den Buchseiten lagen Kohlepapiere, die ich im Schreibprozess immer wieder umgeschichtet und gedreht habe. Je nach Druck mit dem Stift und Lage sind die Worte durch den Abtrag der Farbe invertiert, mal deutlich, mal flüchtig, auf den „Blaupapieren“ erschienen. Die sich verändernden Schriftbilder habe ich kontinuierlich fotografiert und anschließend zusammengeführt.
Jana May, The Flower, 2023, Österreich
Reflektion, Introspektion und Weiblichkeit sind zentrale Themen meiner Arbeiten. Sie eröffnen surreale Einblicke in die Tiefen des Unterbewusstseins. Was mich fesselt, sind die Kontraste des Lebens - das Wechselspiel zwischen Stärke und Verletzlichkeit, Flucht und Ruhe, Vitalität und Sterblichkeit. Im Leben oft so unvereinbar scheinend finden sie Einigkeit in Kreation. Mit „The Flower“, einer Bewegtbild-Kollage aus einigen meiner Tusche-Arbeiten, wollte ich zu einer melancholisch-positiven Sehnsuchtsreise einladen, verbildlichen dass aus jeder Emotion auch etwas Schönes mitgenommen werden darf.
I-Chieh Tsai, I think of you, 2023, Deutschland
Jedes Mal, wenn ich mich frustriert fühle, denke ich an dich. Ich denke an die Frustration, die du mir gebracht hast. Jedes Mal, wenn ich nicht akzeptiert werde, denke ich an dich. Ich denke daran, wie du dich von mir distanzierst. Ich denke ständig an dich.
Dominik Geis, Teardrop, 2023, Deutschland
Mein Interesse gilt den zwischenmenschlichen Bezugsmomenten und der darin verflochtenen kulturell geprägten und gesellschaftlich aufgeladenen Bildervielfalt von Gesten, Mimik, Körperlichkeit. Durch eine rhythmische Schnittweise von Found-Footage-Videos und der zum Teil eigens angefertigten Musik und Sounds entstehen dramaturgisch-choreografische Videocollagen und raumgreifende Videoinstallationen. Das Bildmaterial wird seziert, wodurch die Aufmerksamkeit des Betrachters gelenkt wird und z.B. mittels Loops und Zeitmanipulationen weitere, vorher unerschlossene Bildräume und Bedeutungsebenen eröffnet werden. Was mich interessiert, sind in meiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit verschiedensten Themen evozierte „Gaps“, unterschwellige Kon- und Dissonanzen sowie Ambivalenzen, die auf der einen Seite durch das Medium Video selbst, auf der anderen Seite durch die Bild gewordenen soziologischen und kulturellen Beobachtungen als visuell komplexe Referenzgeflechte be- und verhandelt werden.
Lactoland, Clara Alisch, 2021, Deutschland
Die reproduktive Arbeit, die häufig durch Frauen* im Häuslichen geleistet wird, bleibt im kapitalistischen System mit seiner Gleichsetzung von Arbeit und Lohn unsichtbar. Die historische Teilung zwischen dem privaten Raum als Ort der Reproduktion und dem öffentlichen Raum als Ort der Produktion führt zu einer Isolation der reproduktiv Tätigen. Lactoland zeigt eine Protagonistin – die Milcharbeiterin – die sehnsüchtig aus dem Fenster in die Sonne blickt. Von vielen Menschen wird der Anblick des Stillens in der Öffentlichkeit immer noch als Zumutung wahrgenommen. Clara Alisch möchte die Seh(un)gewohnheiten herausfordern, um der Marginalisierung von Care-Arbeit entgegenzuwirken.
Camila Mejía, Let’s Dance!, 2022, Deutschland
Camila Mejía is a multidisciplinary artist based in Bremen, Germany, whose artistic works encompass light-based installation and film. Recently graduated from the University of Arts Bremen, where she got her Bachelor of Arts. In her films, she focuses on the states of change that can be generated with light, movement or colour. She develops analogue settings, such as light reflection on different moving materials, into digital animations. The great appeal of her work is the transfer of analogue movement or transformation patterns into digital imaging. Her experiments are based on the colours, textures, lights, and movement changes that are built around a set of self-imposed parameters, intuition, and her relationship with the material. In her research, she focused on abstract animation. Through her short films, she reflects on the potential of animation in the fine art context. She is inspired by many artists that used objects, surfaces, and different kinds of spaces as their canvas to project their artworks and the limitless possibilities that expanded animation has. She chooses light and projection as the medium to present her work. Bridging between analogue and digital is something that inspires her and allows her to keep working with tangible materials but at the same time reshape them and digitally transform them. Her goal is to find ways to keep intertwining them.
Brit Bunkley, The Peacable Kingdom, 2023, New Zealand
"The Peaceable Kingdom" ist eine Traumlandschaft mit verschiedenen Haus- und Wildtieren, die menschliche Architekturen bewohnen. Der Titel stammt aus einer Serie von Gemälden des Quäkerpastors und Malers Edward Hicks. Er malte 62 Versionen des friedlichen Königreichs der friedlichen Koexistenz zwischen Raubtieren und Beute ("ein eschatologischer Zustand, der aus Texten wie dem Buch Jesaja, dem Buch Hosea und der Bergpredigt abgeleitet wird"). Die Künstlerin Andrea Gardner und ich haben auf der Grundlage des (von ihr gewählten) Titels zwei Skulpturinstallationen geschaffen.
Beate C. Koehler, WATER DIALOGUE, 2023, Deutschland
Ich arbeite und collagiere mit selbst angefertigtem Bild-, Film- und Tonmaterial. In vielschichtigen fotografischen und filmischen Arbeiten lasse ich mein Gegenüber und meine Umwelt lebendig werden. Im Fokus steht die Auseinandersetzung mit Identität und die Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt/Lebensraum. Im Projekt FREQUENCIES setze ich mich seit Anfang 2022 mit dem Element Wasser als Ursprung unseres Lebens und Grundlage unserer Existenz auseinander. Einerseits erstelle ich Portraits von verschiedenen Gewässern wie den Bremer Seen, dem Main, dem Nord-Pazifik und der Arktis (THE RHYTHM OF WATER), andererseits befasse ich mich mit der Wechselbeziehung von Mensch und Wasser (WATER DIALOGUES).
Barbara Haiduck + Friedrich Dörffler, L' âge d’or, 2023, Deutschland
Wer wünscht sich nicht, dass die Uhr in umgekehrter Richtung läuft! Kriege und Katastrophen werden rückgängig gemacht, Fehler im Großen und Kleinen sind korrigierbar, und man selber wird letztlich sogar wieder jünger. Auf einem externen Standpunkt stehend – vielleicht auf Planet B – betrachtet man die Erde. Zitiert wird das Earthrise-Foto von 1968 des Apollo 8 Astronauten Bill Anders, der fasziniert ausrief “Oh, my God! Look at that picture over there! Here’s the Earth coming up. Wow, is that pretty!”. Allerdings ist nun unsere Erde aus der Form gekommen: Ausgebeutet, am Ende ihrer Ressourcen ist von der alten Welt nicht viel übrig geblieben. Aber zum Glück läuft die Zeit rückwärts, die Erde ist eine Scheibe und wenn wir mit ihr fertig sind, ziehen wir auf eine neue. Oder?
Astrid Menzel, KORPPOO, 2023, Finnland
„In den kalten arktischen Regionen schwebt über den wandernden Rentierherden ein leichter Nebel, der durch die Ausdünstungen ihrer Körper entsteht. Jede Herde hat ein Leittier, dem alle folgen.“ Quelle: Bunter Kinder Kosmos - Tiere in Eis und Schnee, Frank‘sche Verlagshandlung, W. Keller & Co., Stuttgart / 1969 "In the cold Arctic regions, a light mist hovers over the migrating herds of reindeer, created by the exhalations of their bodies. Each herd has a lead animal that they all follow." Source: Bunter Kinder Kosmos - Tiere in Eis und Schnee, Frank'sche Verlagshandlung, W. Keller & Co., Stuttgart / 1969
Anja Schnaars, n sehn rast, 2023, Deutschland
Liebe, Heimat, heile Welt – die Vorstellung der Dinge, nach denen mensch Sehnsucht hat, wird immer auch geprägt durch klischeehafte Bilder und Erzählungen, die sich im Rahmen herrschender Verhältnisse bewegen. Groschenromane stehen dafür exemplarisch und sind dabei höchst reizend unverblümt. Mein Hochkantfilm zerlegt ein Cover solch eines Groschenromans und nimmt das von ihm Vorgegebene als Material, aus dem etwas Neues entsteht, das die Klischees vorführt, bricht, dem Lachen preisgibt und das den Horizont der Wirklichkeiten ein wenig zu erweitern trachtet.
Amon Ritz, YNOS, 2022, Deutschland
YNOS ist ein mehrteiliges, visuelles Projekt, dass mithilfe von Schatten, Prozesse der computergestützten Bilderzeugung erforscht. Transparentes Polyethylenterephthalat formt Licht, bricht es, fungiert als chaotische Linse. Brennlinien entstehen, eins der, in der modernen Bildsynthese, am schwierigsten zu berechnenden Phänomene.
Das Hochkantfilmfest dankt:
Allen Bewerber:innen (über das Festivalprogramm hinaus wurden erneut unzählige, wirklich gute Arbeiten eingereicht).
Der großartigen Jury bestehend aus: Ilona Rieke, Dr’in Anne Thurmann- Jajes, Donghee Nam und Stef van Bellingen.
Jasmine Shah, Kristina Miller, Jolanta Butenaite, Dörte Möx, Judith Dürolf, buten un binnen, Bremen zwei, dem Künstlerhaus Bremen, dem Filmfest Bremen Team, dem Walle Center, dem Senator für Kultur Bremen und der Karin und Uwe Hollweg Stiftung
Festival Management:
Karin Demuth
Contact:
hochkantfilmfest@gmail.com
In cooperation with:
Funded by: